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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 13.11.2001
Aktenzeichen: 3 Ws 162/01
Rechtsgebiete: StGB, PolG


Vorschriften:

StGB § 239
PolG § 36
PolG § 35
Zur Freiheitsberaubung durch Unterlassen infolge Aufrechterhalten einer nach PolG nicht gerechtfertigten Ingewahrsamnahme
Beschluss

Ermittlungsverfahren (Klageerzwingungsverfahren)

gegen den Leitenden Polizeidirektor H.

wegen des Vorwurfs der Freiheitsberaubung

(hier: Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 172 Abs. 2 StPO),

Auf den Antrag vom 17.04.2001 auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid des Generalstaatsanwalts in Hamm vom 06.03.2001 - 2 Zs 2118/00 - hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 13.11.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und der Beschuldigten beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird auf Kosten der Antragstellerin als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin war am 20.03.1998 gegen 14.00 Uhr in Ahaus auf dem Gelände des dortigen Bahnhofs auf Anordnung des POR D. wegen der Nichtbefolgung eines Platzverweises in polizeilichen Gewahrsam genommen und in eine sogenannte Gefangenensammelstelle (GESA) verbracht worden. Dort wurde sie am Folgetag, dem 21.03.1998, um 06.00 Uhr morgens aus dem Gewahrsam entlassen. Die Anzeigeerstatterin erhielt die GESA-Nr. 10114. Die Ingewahrsamnahme erfolgte im Zuge der sogenannten CASTOR-Demonstrationen in Ahaus, die dort u.a. am 20.03.1998 aufgrund des seit dem 19.03.1998 laufenden Transportes von Castor-Behältern in das dortige Brennelemente-Zwischenlager stattfanden. Die Gegner dieser Transporte, u.a. auch die Antragstellerin, hatten versucht, diesen Transport zu verhindern, indem u.a. die Bahngleise im Bereich des Bahnhofs in Ahaus blockiert wurden. Zuvor hatte der Polizeipräsident in Münster mit Allgemeinverfügung vom 09.03.1998, die am 13.03.1998 in der örtlichen Tagespresse veröffentlicht worden war und die auch der Antragstellerin bekannt war, öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge im Umfeld des Brennelement-Zwischenlagers in Ahaus in der Zeit von Donnerstag, dem 19.03.1998, 0.00 Uhr, bis 24 Stunden nach dem Ende des geplanten Castor-Transportes, längstens jedoch bis zum 29.03.1998, 24.00 Uhr, untersagt. Diese Untersagung galt nach der vorgenannten Allgemeinverfügung u.a. im gesamten Stadtgebiet von Ahaus, insbesondere im Bereich des dortigen Bahnhofs.

Die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Münster hatte mit Beschluss vom 16.03.1998 den Antrag, die aufschiebende Wirkung des gegen die Allgemeinverfügung des Polizeipräsidenten in Münster vom 09.03.1998 eingelegten Widerspruchs wiederherzustellen, abgelehnt. Diese Entscheidung hatte das Oberverwaltungsgericht Münster mit Beschluss vom 18.03.1998 bestätigt. Die Antragstellerin hatte sich zum Zeitpunkt ihrer Ingewahrsamnahme mit einer größeren Gruppe von Personen auf dem Gebiet des Bahnhofs in Ahaus aufgehalten und dort gegen die Castor-Transporte demonstriert.

Die Antragstellerin war während ihrer Ingewahrsamnahme keinem Richter vorgeführt worden, und zwar ebenso wenig wie die weiteren Insassen der Gefangenensammelstelle in Münster. Dort waren am 20./21.03.1998 insgesamt 203 Personen in Gewahrsam genommen worden. Als Leiter der Gefangenensammelstelle Münster waren am 20.03.1998 tagsüber der KOR Ziegler vom PP Bochum und ab 19.30 Uhr bis zum frühen Morgen des 21.03.1998 der POR U. vom PP Wuppertal eingesetzt worden. Direkter Vorgesetzter dieser beiden Beamten war der KR Kratz als Leiter der Führungsgruppe des Einsatzabschnitts (EA) 10. Dieser unterstand wiederum dem KD St. als Leiter des EA 10 am 20.03.1998 bis etwa 20.00 Uhr. Danach und bis zum frühen Morgen des 21.03.1998 war sodann der LKD H. als Leiter des EA 10 eingesetzt. Der EA 10 war nach dem zugrunde liegenden Einsatzbefehl der Polizei für die Gefangenensammelstellen und für die Ingewahrsamnahme zuständig. In dem entsprechenden Einsatzbefehl heißt es insofern ausdrücklich, dass sich die Einsatzabschnittsführer des EA 10 die Entlassung von Gefangenen vorbehalten ("6.2 Entlassung von Gefangenen: die Entlassung von Gefangenen behalten wir uns vor".). Lediglich die Entlassung einer größeren Zahl von Gefangenen bedurfte der Abstimmung mit dem Polizeiführer, dem die zentrale Leitung des Polizeieinsatzes von Münster aus oblag. Dies war am 20.03.1998 bis gegen 20.15 Uhr der LPD H. und ab etwa 20.15 Uhr der LPD H.. Der Polizeiführer LPD H. hatte insoweit bereits am frühen Morgen des 20.03.1998 die Anweisung erteilt, die Ingewahrsamnahmen bis zur Ankunft des Zuges im Brennelemente-Zwischenlager aufrechtzuerhalten, wenn dieses rechtlich möglich sei. Weitere Anordnungen zur Frage der Ingewahrsamnahme wurden von LPD H. während der Dauer der Ingewahrsamnahme der Antragstellerin nicht getroffen.

Zur richterlichen Vorführung in Gewahrsam genommener Personen kam es am 20./21.03.1998 lediglich beim Amtsgericht in Coesfeld. Dort wurden 20 in Gewahrsam genommene Personen aus dem Bereich der dort ebenfalls eingerichteten Gefangenensammelstelle Richtern des Amtsgerichts Coesfeld vorgeführt. Die Richter haben die Entlassung sämtlicher ihnen vorgeführter Personen angeordnet und die Unzulässigkeit der Freiheitsentziehung festgestellt. Die Begründung bestand jeweils darin, dass die Polizei im Rahmen der Vorführung lediglich pauschale Angaben zu dem den jeweils vorgeführten Personen zur Last gelegten Geschehen gemacht hatte, die die konkrete Zuordnung eines bestimmten rechtswidrigen Verhaltens zu der vorgeführten Person nicht ermöglichten.

Den Richtern des Amtsgerichts in Münster wurden keine dort in Gewahrsam genommenen Personen vorgeführt. Die Richter des Amtsgerichts Münster gingen nämlich davon aus, dass für die Entscheidungen über die Zulässigkeit der Ingewahrsamnahme der in Ahaus in Gewahrsam genommenen Personen das Amtsgericht Ahaus zuständig blieb. Diese Zuständigkeitsfrage war Gegenstand einer zuvor bei dem Präsidenten des Landgerichts Münster durchgeführten Dienstbesprechung, an der Vertreter der beteiligten Amtsgerichte und des Polizeipräsidenten in Münster beteiligt waren. Dort konnte unter den anwesenden Amtsrichtern keine Einigung über die Zuständigkeit getroffen werden. Während die Amtsrichter des Amtsgerichts Coesfeld den Rechtsstandpunkt einnahmen, dass sie für die in ihrem Bezirk in Gewahrsam gehaltenen Personen zuständig seien, vertraten die Richter der Amtsgerichte Rheine, Münster und Ahaus den Standpunkt, dass das Amtsgericht Ahaus zuständig bleibe.

Der KD St. als Leiter des EA 10 teilte am Mittag des 20.03.1998 dem Direktor des Amtsgerichts Ahaus, Richter am Amtsgericht Dr. L., telefonisch mit, dass in der Gefangenensammelstelle in Münster 37 Personen in polizeilichen Gewahrsam genommen worden seien und für eine richterliche Anhörung bereitstünden. Im Rahmen dieses Telefonats wurde die Frage erörtert, ob durch die Polizeiführung Anträge nach § 35 PolG NW auf richterliche Bestätigung der Ingewahrsamnahme gestellt werden sollten. Der Direktor des Amtsgerichts Ahaus gab nach Rücksprache mit dem zuständigen Dezernenten des Amtsgerichts Ahaus, Richter am Amtsgericht S., KD St. einen vorher abgesprochenen schriftlich vorformulierten Text per Telefon durch. Dieser Text lautete wie folgt:

"Da nach unseren Presseinformationen zu erwarten ist, dass einerseits der Transport bereits in der Nacht vom 20. zum 21.03.1998 beendet wird, andererseits der Transport der Richter, ihre Vorbereitung, die Anhörung der Betroffenen und die Entscheidungsfindung sich ebenso lange hinziehen können, ist zu erwarten, dass die Entscheidung der Richter sich erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahmen, nämlich zur Einbringung der Castoren in das BEZ ergehen dürfte. Damit verbleibt die Verantwortung für die Ingewahrsamnahme gemäß § 36 Abs. 1 S. 2 Polizeigesetz NW zunächst noch bei der Polizei. Das Amtsgericht Ahaus hat sechs Richter für die Verfahren eingesetzt. Eine vorzeitige Zersplitterung der Kräfte ist zur Zeit durch einen jetzigen Einsatz noch nicht sinnvoll, da im Moment noch nicht erkennbar ist, in welchen Lagern die Richter arbeiten müssen und wie viel Verfahren durchzuführen sind."

KD St. gab diesen Vermerk wie folgt in schriftlicher Form an die Leiter der Gefangenensammelstellen weiter:

"Betr.: Bestätigung von Ingewahrsamnahmen

Bezug: Anfrage bei Dr. L., Direktor des Amtsgerichts Ahaus

Am heutigen Tage, gegen 14.00 Uhr, teilte der Direktor des Amtsgerichts Ahaus, Herr Dr. L., Unterzeichner fernmündlich das Ergebnis der Überprüfung durch das Amtsgericht mit.

Nach Rücksprache mit dem Dezernenten, Herrn Richter am Amtsgericht S., wurde folgende Entscheidung getroffen:

"Da nach unseren Presseinformationen zu erwarten ist, dass einerseits der Transport eventuell schon in der Nacht auf Samstag (21.03.1998) beendet werden kann, andererseits der Transport der Richter, ihre Vorbereitung, die Anhörung der Betroffenen und die Entscheidungsfindung sich ebenso lange hinziehen können, ist zu erwarten, dass die Entscheidung der Richter erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Ingewahrsamnahme ergehen würde.

Deshalb soll die Ingewahrsamnahme für die kommende Nacht gemäß § 36 Abs. 1 S. 2 PolG NW bei der Polizei bleiben.

Das AG Amtsgericht Ahaus hat sechs Richter für die Verfahren im Einsatz.

Eine Zersplitterung der Kräfte ist zur Zeit nicht angesagt."

St."

Richter am Amtsgericht S. telefonierte dann am 20.03.1998 gegen 19.55 Uhr noch einmal mit KD St.. KD St. nahm darüber folgenden Vermerk auf:

"Hr S. meldet sich morgen (08.00 h) vom Gericht aus; ist dort auch erreichbar. Er informiert von der Entlastung andere Richter."

Angesichts des zu diesem Zeitpunkt unmittelbar bevorstehenden Eintreffens des Castor-Zuges im Brennelement-Zwischenlager hielten zu diesem Zeitpunkt sowohl KD St. als auch RAG S. die Vorführung in Gewahrsam genommener Personen für derzeit nicht erforderlich. Tatsächlich traf der Zug gegen 20.30 Uhr im Brennelement-Zwischenlager ein; die Tore des Lagers wurden um 21.17 Uhr geschlossen.

Nach der polizeilichen Einsatzdokumentation begann die Polizei ab 22.00 Uhr mit der Entlassung der Gefangenen, die am 20.03. zwischen 02.00 Uhr und 06.00 Uhr in Gewahrsam genommen worden waren. Um 00.50 Uhr ordnete LKD H. die sofortige Entlassung der am 20.03.1998 bis 10.00 Uhr in Gewahrsam genommenen Personen an. Die später in Gewahrsam genommenen Personen sollten ab 06.00 Uhr entlassen werden. LPD H. ordnete sodann um 01.50 Uhr die sofortige Entlassung aller in Gewahrsam genommener Personen an. Um 01.45 Uhr wurde dem Leiter EA 10 durch den Führungsstab mitgeteilt, dass sich an der GESA 1 (Münster) eine Mahnwache in der Größe von ca. 40 Personen gebildet habe. Aufgrund der schlechten Kräftelage der Polizei könne eine anwachsende Mahnwache erhebliche Probleme mit sich bringen. Deshalb werde gebeten, keine Gefangenen mehr an der GESA freizulassen. Daraufhin erfolgte um 01.50 Uhr vom LKD H. die Anordnung, dass die GESA Münster keine Gefangenen mehr an der GESA entlasse. Entlassungen dürften nur noch im Rahmen des Wegfahrens durchgeführt werden. Sofern sich freigelassene Personen der Mahnwache anschließen sollten, müsse die weitere Freilassung gestoppt werden.

Der Leiter der GESA Münster, KD U., teilte sodann um 02.25 Uhr mit, dass die Entlassung pro Person rund 15 Minuten andauere, so dass bei 90 Ingewahrsamnahmen mit einer Zeitdauer von 3 bis 4 Stunden für die Entlassung zu rechnen sei, es werde deshalb die sofortige Entlassung vorgeschlagen. Tatsächlich erfolgte die Entlassung der am 20.03.1998 nach 10.00 Uhr in Gewahrsam genommenen Personen ab 06.00 Uhr morgens am 21.03.1998.

Das Verwaltungsgericht Münster hat durch Anerkenntnisurteil vom 02.07.2001 festgestellt, dass die Ingewahrsamnahme der Antragstellerin am 20./21.03.1998 rechtswidrig war. Der Polizeipräsident in Münster hat die Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme zuvor anerkannt, da eine richterliche Entscheidung über die Ingewahrsamnahme nicht wirksam herbeigeführt worden war. Die Ingewahrsamnahme sei deshalb vom Zeitpunkt des Fehlschlagens der Herbeiführung der richterlichen Entscheidung am 20.03.1998 gegen 14.45 Uhr bis zur Entlassung der Antragstellerin am Morgen des 21.03.1998 um 06.00 Uhr rechtswidrig gewesen.

Die Staatsanwaltschaft Bielefeld hat mit Bescheid vom 18.08.2000 das von der Antragstellerin durch ihre Strafanzeige veranlasste Ermittlungsverfahren gegen den LPD H. u.a. eingestellt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Beschuldigten hätten angesichts der ihnen bekannten Lage am 20.03.1998 davon ausgehen können, dass die Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme erfüllt waren. Eine eigene Prüfung hinsichtlich der Gründe der Ingewahrsamnahme sei ihnen weder möglich noch von ihnen zu erwarten gewesen. Der Beschuldigte St. habe in angemessener Zeit nach der Ingewahrsamnahme Kontakt zu dem Amtsgericht Ahaus aufgenommen, um richterliche Entscheidungen gemäß § 36 Abs. 1 PolG NW herbeizuführen. Eine Entscheidung des Amtsgerichts Ahaus sei mit dem vom Direktor des Amtsgerichts Dr. L. übermittelten Vermerk des Dezernenten vom 20.03.1998 auch ergangen. Unschädlich sei, dass es sich hierbei nicht um eine Entscheidung in Form eines Beschlusses gehandelt habe. Danach sei die Freiheitsentziehung zumindest bis zur Ankunft des Transportes im Brennelement-Zwischenlager aufgrund richterlicher Entscheidung rechtmäßig gewesen. Es sei nicht zu klären, aus welchen Gründen der bei dem Amtsgericht Ahaus niedergelegte Vermerk in einer entscheidenden Passage abweichend durch den Beschuldigten St. niedergelegt worden sei. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Unstimmigkeit auf ein Missverständnis zurückzuführen sei, das von den Beteiligten nicht bemerkt worden sei. Anhaltspunkte dafür, der Vermerk sei bewusst abweichend notiert worden, ließen sich nicht feststellen. Aufgrund des durch den Beschuldigten St. niedergelegten Vermerkes hätten die Beschuldigten aber davon ausgehen können, dass in der Nacht zum 21.03.1998 richterliche Entscheidungen nicht herbeizuführen waren und dass die weitere Freiheitsentziehung zugleich aufgrund der dokumentierten richterlichen Entscheidung bis zum nächsten Morgen rechtmäßig gewesen sei. Unabhängig hiervon sei mit den Entlassungen aus den Gefangenensammelstellen nach weniger als einer Stunde nach Ankunft des Transportes im Brennelement-Zwischenlager begonnen worden. Angesichts der großen Zahl der zu entlassenden Personen sei es bei den Entlassungen aus organisatorischen Gründen zu Verzögerungen gekommen. Dies rechtfertige jedoch nicht die Annahme, die Beschuldigten hätten den in Gewahrsam genommenen Personen rechtswidrig die Freiheit entziehen wollen.

Dieser Bescheid ist dem Bevollmächtigten der Antragstellerin am 21.08.2000 zugegangen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde ging am 29.08.2000 bei der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm ein. Mit dem angegriffenen Bescheid vom 06.03.2001, dem Bevollmächtigten der Antragstellerin am 13.03.2001 zugestellt, hat der Generalstaatsanwalt die Beschwerde aus den aus seiner Sicht zutreffenden Erwägungen der Entscheidung der Staatsanwaltschaft Bielefeld zurückgewiesen. Vorsätzliches Handeln der Beamten könne nicht deshalb angenommen werden, weil sie es verabsäumt hätten, beim zuständigen Amtsgericht einen Antrag auf richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizeibeamten hätten von der Zuständigkeit des Amtsgerichts Ahaus ausgehen können, da dies auch - mit Ausnahme des Amtsgerichts Coesfeld - die Ansicht der übrigen beteiligten Amtsgerichte gewesen sei. Angesichts des von dem Beschuldigten St. aufgenommenen Vermerks hätten die Polizeibeamten davon ausgehen können, dass es gemäß § 36 Abs. 1 S. 2 PolG NW der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung nicht mehr bedurfte. Aufgrund der mit der Entlassung der festgenommenen Personen verbundenen Formalitäten habe die Freilassung bei der Vielzahl der in Gewahrsam Genommenen geraume Zeit in Anspruch genommen, ohne dass sich daraus Hinweise für eine vorsätzliche Freiheitsberaubung ergeben hätten.

Gegen diesen Bescheid hat die Antragstellerin mit am 17.04.2001 bei dem Senat eingegangenen Antrag vom selben Tage Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 172 Abs. 2 StPO gestellt. Zur Frage des Vorsatzes der Beschuldigten hat sie ausgeführt, dass diesen alle Umstände bekannt gewesen seien, die den objektiven Tatbestand der Freiheitsberaubung verwirklicht hätten. Ein "einfacher Blick" in das Polizeigesetz NW hätte den Beschuldigten gezeigt, dass das Amtsgericht Ahaus für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Ingewahrsamnahme nicht zuständig war. Dies sei in der einschlägigen Literatur auch nicht streitig. Die Polizei könne sich einer eigenen Prüfung der Rechtslage nicht durch den Hinweis auf die Meinung unzuständiger Richter ersparen. Der von dem Beschuldigten St. entgegen genommene Vermerk ersetze auch erkennbar nicht die erforderliche Einzelfallentscheidung.

II.

Der zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 172 Abs. 2 StPO hat in der Sache keinen Erfolg. Es besteht kein hinreichender Tatverdacht dafür, dass sich einer der an der Ingewahrsamnahme der Antragstellerin bzw. deren Aufrechterhaltung beteiligten Polizeibeamten der Freiheitsberaubung gemäß § 239 Abs. 1 StGB schuldig gemacht hätte.

Die Ingewahrsamnahme selbst ist durch den POR D. angeordnet worden. Die Antragstellerin trägt selbst nicht vor, dass bereits die Anordnung der Ingewahrsamnahme rechtswidrig gewesen wäre. Dafür bestehen auch im Übrigen keinerlei Anhaltspunkte. Die Antragstellerin hatte sich an einer aufgrund der Allgemeinverfügung des Polizeipräsidenten in Münster vom 09.03.1998 rechtswidrigen Demonstration auf dem Bahnhofsgelände in Ahaus beteiligt und war zur Durchsetzung eines Platzverweises in Gewahrsam genommen worden.

In Betracht kommt damit allein eine Freiheitsberaubung durch Unterlassung gemäß §§ 239 Abs. 1; 13 Abs. 1 StGB. Eine entsprechende Garantenpflicht konnte hier aber nur die Polizeibeamten treffen, die nach dem Einsatzbefehl überhaupt für die Freilassung der in Gewahrsam genommenen Personen zuständig waren. Die anderen Beamten hatten nämlich keine rechtliche Möglichkeit zur Erfolgsverhinderung, hier also zur Verhinderung der Fortdauer der Ingewahrsamnahme der Antragstellerin (vgl. dazu Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., § 13 Rdnr. 14). Hiervon betroffen sind die Leiter der GESA Münster POR Z. und KD U. sowie die Leiter der Führungsgruppe EA 10 K. und - in der Nacht - E. Die Entscheidung über die Freilassung der in Gewahrsam genommenen Personen stand nämlich nach dem seinerzeit geltenden Einsatzbefehl ausschließlich dem Leiter der EA 10 zu, der sie bei einer größeren Zahl von Entlassungen mit dem Polizeiführer abzustimmen hatte. Damit verbleiben als denkbare Täter einer Freiheitsberaubung durch Unterlassen zum Nachteil der Antragstellerin allein die Polizeibeamten KD St. und LKD H. als Leiter der EA 10 sowie die Polizeiführer Tag LPD H. und Polizeiführer Nacht LPD H..

Durch LPD H. ist insoweit aber lediglich die Anordnung getroffen worden, die in Gewahrsam genommenen Personen nach Möglichkeit bis zum Eintreffen des Zuges im Brennelemente-Zwischenlager in Gewahrsam zu halten. Rechtliche Bedenken gegen diese Anordnung bestehen nicht. Insbesondere sollte die Ingewahrsamnahme danach nur im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten aufrechterhalten bleiben. Dies kann nur so verstanden werden, dass die Ingewahrsamnahmen vorbehaltlich einer abweichenden richterlichen Entscheidung bestehen bleiben sollten. Mit abweichenden richterlichen Entscheidungen war LPD H. während des Einsatzes nach dem Akteninhalt nicht konfrontiert. Ansatzpunkte für eine Freiheitsberaubung durch ihn scheiden damit aus.

LPD H. war nach dem Ermittlungsergebnis mit den Ingewahrsamnahmen nur insoweit konfrontiert, als er um 01.50 Uhr die Freilassung sämtlicher in Gewahrsam genommener Personen angeordnet hatte. Abweichende richterliche Entscheidungen waren ihm ebenfalls nicht bekannt. Mit Einzelfällen war er nicht konfrontiert. Auch insoweit bestehen keinerlei Anhaltspunkte, für eine Freiheitsberaubung durch Unterlassen. Soweit LPD H. noch angeordnet hatte, die Entlassung der in Gewahrsam genommenen Personen solle nach der Einfahrt des Zuges in das Brennelement-Zwischenlager erfolgen, hat LPD H. im Rahmen seiner Vernehmung nachvollziehbar geschildert, dass diese Anordnung sich noch unter der sich im Nachhinein als unzutreffend herausgestellten Prognose ergangen sei, dass nach der Einfahrt des Zuges in das Lager keine gewalttätigen Aktionen mehr erfolgen würden. Tatsächlich sei es aber zu erheblichen Auseinandersetzungen gewalttätiger Art in Ahaus und Umgebung auch nach dem Eintreffen des Zuges im Lager gekommen, so dass er die Entlassung der in Gewahrsam genommenen Personen verschoben und von dem Abflauen der gewalttätigen Auseinandersetzungen abhängig gemacht habe. Dies sind sachliche Gründe für die Fortdauer der Ingewahrsamnahme gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 2, 3 PolG NW. Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Anordnung bestehen nicht.

Dementsprechend verfolgt auch die Antragstellerin in erster Linie die Ansicht, dass die Freiheitsberaubung hier dadurch begangen worden sei, dass sie nicht unverzüglich nach ihrer Ingewahrsamnahme dem Richter zur Entscheidung nach § 36 PolG NW vorgeführt wurde. Dies ist hier erkennbar aufgrund der Anordnung des KD St. vom 20.03.1998 im Rahmen der Übersendung des von ihm über das Gespräch mit dem Direktor des Amtsgerichts Dr. L. aufgenommenen Vermerks an die Leiter der Gefangenensammelstellen unterlassen worden. Insoweit besteht aber jedenfalls kein hinreichender Tatverdacht für eine vorsätzliche Freiheitsberaubung durch Unterlassen, begangen durch KD St. zum Nachteil der Antragstellerin. KD St. hatte nämlich in etwa zeitgleich mit der Ingewahrsamnahme der Antragstellerin Kontakt zu dem Amtsgericht Ahaus aufgenommen, um abzuklären, wann und auf welche Weise gemäß § 36 PolG NW eine richterliche Entscheidung herbeigeführt werden sollte. Es bestehen damit gerade keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass KD St. etwa versucht hätte, die richterliche Vorführung der in Gewahrsam genommenen Personen nach § 36 des PolG NW bewusst zu unterlaufen bzw. zu verhindern. Der Antragstellerin ist zuzugeben, dass dieser Vermerk - selbstverständlich - keine richterliche Entscheidung i.S.v. § 36 Abs. 1 PolG NW dargestellt hat. Der Vermerk beinhaltet aber auf der anderen Seite die Mitteilung einer bestimmten Rechtsansicht durch die Richter des Amtsgerichts Ahaus an KD St., nämlich der Rechtsansicht, dass hier die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 S. 2 PolG NW vorliegen würden, wonach es der Herbeiführung der richterlichen Entscheidung gerade nicht bedürfe. Nun mag es zwar sein, dass diese Rechtsansicht nicht zutreffend war. Andererseits ist sie dem KD St. mit der Autorität gleich zweier Amtsrichter übermittelt worden, nämlich des Direktors des Amtsgerichts Dr. L. und des zuständigen Dezernenten, Richter am Amtsgericht S., der sich bereits im Vorfeld des Polizeieinsatzes durch das Verfassen schriftlicher Ausführungen zu den Voraussetzungen der §§ 35, 36 PolG NW im Hinblick auf den anstehenden Castor-Transport hervorgetan hatte. Anhaltspunkte dafür, dass KD St. zu diesem Zeitpunkt erkannt hätte, dass die ihm übermittelte Ansicht der Amtsrichter des Amtsgerichts Ahaus nicht zutreffend war und dass er - darüber hinaus - dies vorsätzlich zu dem Zweck ausgenutzt hätte, um die Ingewahrsamnahmen rechtswidrig andauern zu lassen, bestehen nicht. Vielmehr ist hier angesichts des Vermerkes von einem für KD St. unvermeidbaren Verbotsirrtum i.S.v. § 17 StGB auszugehen. Mehr als die Einholung der Rechtsansicht der nach den Vorgaben der Polizeiführung und des Präsidenten des Landgerichts Münster zuständigen Amtsrichter konnte von KD St. als Polizeibeamten nämlich schlechterdings nicht verlangt werden. Dies gilt auch für die Frage der örtlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts Ahaus. Immerhin hatte hierzu der Richter am Amtsgericht S. eine umfangreiche und von einer Vielzahl von sachlichen Erwägungen getragene Ausarbeitung erstellt, wonach das Amtsgericht Ahaus trotz der Verbringung der in Gewahrsam genommenen Personen in außerhalb des Amtsgerichtsbezirks gelegene Gefangenensammelstellen für die Entscheidung nach § 36 PolG NW zuständig blieb. Eine weitergehende Erkundigungspflicht traf den KD St. hier nicht. Durch einen "einfachen Blick" in das Polizeigesetz konnte sich ihm die örtliche Zuständigkeit angesichts der ausführlichen Ausführungen des Richters am Amtsgericht S. gerade zu dieser Frage eben nicht erschließen.

Es bestehen weiterhin auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der KD St. den ihm von dem Direktor des Amtsgerichts Dr. L. übermittelten Vermerk vom 20.03.1998 bewusst falsch aufgenommen hätte. Vielmehr spricht nach Aktenlage alles für ein Missverständnis bei der telefonischen Übermittlung des Vermerks. Es ist nicht der geringste Grund dafür erkennbar, warum KD St. hier vorsätzlich den ihm übermittelten Vermerk des Direktors des Amtsgerichts verfälscht haben sollte, etwa deshalb, um einen Vorwand dafür zu haben, keine richterliche Entscheidung nach § 36 PolG NW herbeiführen zu müssen. Nach ihren Aussagen im Ermittlungsverfahren ist Direktor des Amtsgerichts L. und KD St. in gleicher Weise unerklärlich, wie es zu der Diskrepanz zwischen den beiden Vermerken kommen konnte. Anhaltspunkte dafür, dass sich dies noch in die eine oder andere Richtung wird aufklären lassen, bestehen nicht.

Auch der Umstand, dass die Antragstellerin nicht unmittelbar nach Eintreffen des Zuges im Brennelement-Zwischenlager um 21.17 Uhr entlassen worden ist, begründet keinen hinreichenden Tatverdacht für die Begehung einer Freiheitsberaubung durch Unterlassen zu ihrem Nachteil durch einen der an dem Einsatz beteiligten Polizeibeamten, konkret hier durch die Entscheidungsträger LPD H. und LKD H.. LPD H. ist nach dem Ergebnis der Ermittlungen nur einmal mit der Frage der Entlassung aus dem Gewahrsam befasst worden, nämlich um 01.50 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt hat er - aktenmäßig dokumentiert - die sofortige Entlassung sämtlicher in Gewahrsam genommener Personen angeordnet. Anhaltspunkte für ein rechtsfehlerhaftes Verhalten ergeben sich hieraus nicht, noch weniger für eine vorsätzlich hinausgezögerte Entlassung. Vielmehr war die Entscheidung von LPD H., angesichts der sich entwickelnden gewalttätigen Aktionen in Ahaus und Umgebung mit der Entlassung zuzuwarten, von sachlichen Gründen der Gefahrenabwehr getragen.

Auch soweit LKD H. diese Anordnung von LPD H. in der konkreten Umsetzung dahingehend modifiziert hat, dass die Entlassung der in Gewahrsam genommenen Personen abschnittsweise erfolgen sollte, war dies von sachlichen Erwägungen getragen. Nach dem Ermittlungsergebnis, wie es sich nach Aktenlage darstellt, erforderte die Entlassung der in Gewahrsam genommenen Personen einen erheblichen organisatorischen Aufwand, der zu zeitlichen Verzögerungen bei der Entlassung geführt hat. Dies liegt in der Natur der Sache und ergibt keinerlei Anhaltspunkte für ein pflichtwidriges Verhalten der betreffenden Polizeibeamten. Nachdem jedenfalls ab 01.50 Uhr die Entlassung sämtlicher in Gewahrsam genommener Personen bereits durch die Polizei angeordnet worden war, bedurfte es erkennbar nicht mehr der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung. Auch die Entlassung aufgrund richterlicher Entscheidung hätte im Übrigen denselben organisatorischen Aufwand verlangt und hätte deshalb voraussichtlich ebenfalls nicht schneller erfolgen können.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 177 StPO.

Ende der Entscheidung

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